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Ahnenforschung Birgit Hüttebräucker
Damals in Herscheid

Fund einer Knochenkammer in der Herscheider Dorfkirche 1939

Von Birgit Hüttebräucker Oktober 2014
Quellen:
-mündliche Überlieferung durch Zeitzeugen.
- Archiv der Ev. Kirchengemeinde Herscheid

Zu einer wichtigen Quelle für die Geschichte eines Ortes gehören, neben vorhandener Literatur und Dokumenten, auch mündliche Überlieferungen und Zeitzeugenberichte. Nicht alles, was in einem Ort geschah, wurde schriftlich festgehalten. Auch in Herscheid gibt es sicher einige Ereignisse, die niemals aufgezeichnet wurden und daher leider irgendwann in Vergessenheit geraten. Ein solches Ereignis aus dem Winter 1939/Frühjahr 1940 ist einigen wenigen Herscheidern noch im Gedächtnis geblieben.

Nach Augenzeugenberichten führten während der Weihnachtszeit in der Herscheider Kirche mehrere Kinder im Alter zwischen 11 und 12 Jahren ein Krippenspiel auf. Während die meisten Darsteller schon in der Kirche ihren Auftritt hatten, hielten sich zwei Mädchen noch wartend, in der Sakristei auf. Eines dieser Mädchen, vermutlich vor Nervosität hin und her laufend, brach plötzlich mit einem Bein durch den Fußboden. Der Schreck war sicher groß doch in dem Augenblick widmete man dem beschädigten Boden noch nicht viel Aufmerksamkeit. Erst nach dem Krippenspiel wurde die defekte Stelle von Erwachsenen genauer in Augenschein genommen. Was man dann dort entdeckte, war für die Beteiligten eine Überraschung. Unter der Sakristei befand sich eine große Menge menschlicher Überreste. Anscheinend wurde durch Zufall eine Knochenkammer freigelegt. Da es zu dem Zeitpunkt witterungsbedingt nicht möglich war die Knochen auf dem Friedhof beizusetzen, verschob man diese Aufgabe in das Frühjahr 1940. Der damalige Hilfsküster Wilhelm Schmidt legte mit einer Karre mehrmals den Weg vom Kirchplatz zum Friedhof zurück um die Gebeine dort abzuladen. Damit der Herscheider Bevölkerung der Anblick der seltenen Ladung erspart blieb, wurde für den Transport extra eine große Kiste angefertigt. Auf dem Friedhof wurden die Knochen dann abgeladen und blieben noch 1-2 Wochen, diesmal für jeden sichtbar liegen, bevor sie endgültig beigesetzt wurden. Nach den Erzählungen, boten die Totenköpfe auch dem ein oder anderem Jugendlichen die Gelegenheit für einen Streich. Einem Arzt diente ein gut erhaltener Schädel als Anschauungsstück, das noch Jahre nach diesem Ereignis auf seinem Schreibtisch zu sehen war.

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Da das Fotografieren vor 75 Jahren noch keine Selbstverständlichkeit war, ist es ein Glückstreffer, dass heute Bilder vorhanden sind, die diesen Augenzeugenbericht belegen. Die Aufnahmen wurden von dem Vater einer Zeitzeugin gemacht, und zeigen die Gebeine auf dem Herscheider Friedhof.

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Aus welcher Zeit diese menschlichen Knochen stammen, wurde niemals geklärt und der Vorfall auch nicht dokumentiert. Es ist aber anzunehmen, dass sie von dem alten Herscheider Friedhof, der sich bis zum Jahr 1832 in unmittelbarer Nähe der Kirche befand, stammten. Da die Einwohnerzahl und somit auch die Sterbefälle in Herscheid immer mehr zunahmen, wurde dieser Begräbnisplatz zu klein. Dies zeigt auch ein Blick in die alten Herscheider Kirchenbücher, in denen neben Taufen und Eheschließungen auch die Sterbefälle verzeichnet sind. Im Sterberegister des Jahres 1830 werden 96 und 1831 insgesamt 76 Beerdigungen verzeichnet. Wenn man davon ausgeht, dass der alte Friedhof im Jahr 1832 schon einige hundert Jahre alt war, kann man sich gut vorstellen, dass der Platz nicht ausreichend war. Vermutlich wurden im Laufe der Jahrzehnte aus Platzmangel immer mal wieder alte Gräber ausgehoben und die menschlichen Überreste in der Knochenkammer unter der Sakristei aufbewahrt.

Verschiedenen Dokumenten, die sich im Herscheider Kirchenarchiv befinden, kann man entnehmen, dass schon gut 110 Jahre vor dem Fund in der Sakristei, nämlich im Jahr 1828, der Kirchenvorstand plante, einen neuen Friedhof anzulegen. Für diese Planung wurde unter anderem auch eine Karte, die das Umfeld der Kirche zeigt, erstellt. Doch erst einige Jahre später, am 25 November 1832 konnte der neue Friedhof, dort wo er sich heute befindet, eingeweiht werden. Der damals amtierende Herscheider Pfarrer, Friedrich Nohl schreibt wenige Tage nach der Einweihung des neuen Friedhofes in einem Protokollbuch den folgendem Text:Da der nunmehr ungefähr 900 -1000 Jahre alte Kirchhof der hiesigen Gemeinde, der um die Kirche angelegt ist, sich als zu klein erwiesen, hatte sich das hiesige Consistorium [kirchliche Verwaltungsbehörde] schon vor einigen Jahren das zum Behuf [zum Zweck] eines neuen Kirchhofes ein Stück Land außerhalb des Dorfes, gegen Osten zu, von dem vormaligen Gerichtsscheffen Fohrmann in Herscheid angekauft.

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Über den Tag der Einweihung berichtet Pfr. Nohl weiter:

Die Einweihung des neuen Kirchhofs wurde von dem hiesigen Kirchenvorstand, den 25 November festgesetzt. An diesem Tage hielt der zeitl. Prediger Friedr. Nohl einen öffentlichen Sonntagsgottesdienst in der Kirche. Danach hielt derselbe auf dem Kirchhofe eine Abschiedsrede. Hiernach zog der Schullehrer Bauckhage mit der Schuljugend voraus, danach folgte der Prediger und das Consistorium und hierauf die Gemeinde. Während des Zuges wurde beim Geläut aller Glocken aus dem Lied gesungen Bedenke Mensch das Ende. Auf dem neuen Kirchhofe angekommen, hielt der Prediger eine Einweihungsrede und weihte auch derselbe den neuen Gottesacker feierlich ein. Eine erstaunliche Menge Menschen war versammelt, wobei auch viele Auswärtige waren. Während der ganzen Feierlichkeit war eine ungemeine Rührung sichtbar.

Ob dem damaligen Kirchenvorstand bekannt war, dass sich unterhalb der Sakristei eine Knochenkammer befand, ist weder an dieser noch an anderer Stelle vermerkt und so lassen sich dazu und zu der Herkunft der Knochen heute nur Vermutungen anstellen.

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