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Ahnenforschung Birgit Hüttebräucker
Damals in Herscheid

Der Wilhelmsturm auf der Nordhelle

Von Birgit Hüttebräucker 2022
Quellen:Lüdenscheider Zeitung 1878,Altenaer Kreisblatt 1878

Im  Gegensatz zu seinem berühmten Nachfolger, dem Robert-Kolb-Turm, hat es der Wilhelmsturm, der einst auf der Nordhelle stand, nicht in die Geschichtsbücher der Ebbegemeinde geschafft. Vielleicht war er für einen Vermerk in der Literatur zu unscheinbar?. Damals, im Jahr 1878 sah das allerdings ganz anders aus und der einfache Holzturm war nicht nur bei den Herscheidern in aller Munde. Für viele Wanderer war der Wilhelmsturm ein beliebtes Ausflugsziel. Erstmalig wurde der Turm im Juni des Jahres 1878 in der Lüdenscheider Zeitung erwähnt. Dort konnte man folgenden Bericht lesen:

Herscheid, 18.Juni. Voriges Jahr wurde an dieser Stelle auf die Nordhelle, den höchsten Punkt des Ebbegebirges, aufmerksam gemacht. Der gleichzeitig besprochene Bau eines Aussichtsthurmes, der eine bessere Fernsicht ermöglichen solle, ist jetzt vollendet, Es ist kein Prachtbau, - man hat sich nach der Decke gestreckt – er erfüllt aber vollständig seinen Zweck. Auf einer bequemen Leiter gelangt man auf die 150 Quadratfuß große, mit Geländer und ca. 20 Sitzplätzen versehene Plattform des solide und elegant gebauten, 18 Fuß hohen Holzgerüstes. Die Aussicht von da oben ist eine gewaltig überraschende! In einem Rundblick übersieht man die in malerischer Farbenpracht daliegenden Bergkegel, Hochebenen und Thäler des größten Theils dreier Provinzen. Wahrlich ein großartiges Panorama, welches gebührend zu schildern wir nicht im Stande sind. Die Mühe des Ersteigens dieses von Herscheid nur ein kleines Stündchen entfernten höchsten Punktes unserer Grafschaft Mark wird bei nur einigermaßen günstiger Witterung aufs reichlichste belohnt. Für Ausflüge von Turn- und anderen Vereinen, Gesellschaften, Klassen größerer Schulen, bietet genannter Punkt namentlich in botanischer und geographischer Hinsicht ein interessantes und belehrendes Reiseziel. Außerdem hat derselbe historische Bedeutung. In der Zeit, als Deutschland unter dem Joch der Fremdherrschaft seufzte, stand hier ein anderer Thurm, von welchem aus Napoleon durch einen optischen Telegraphen sein Machtwort in die Welt senden ließ. Auf seinen Ruinen wurde am Wilhelmstage, als Deutschland für die glückliche Errettung seines so lange ersehnten neu erstandenen Barbarossa`s dankte, unser jetziger Thurm errichtet, auf welchem hoch und stolz das deutsche Banner weht. Im Hinblick hierauf ist der treffende Vorschlag gemacht, den Bau „Wilhelms-Thurm“ zu nennen, welchen Namen derselbe bereits in Aller Munde führt. Möge sich denn jedem Besucher des Wilhelmsthurmes seine engere wie weitere Heimath von da oben als ein Bild des Friedens und des Segens zeigen und von demselben bis in die fernsten Zeiten hinausgeblickt werden in ein einiges, unter dem Scepter unseres Kaiserhauses starkes deutsches Vaterland! Das walte Gott.
Aussichtsturm
Vielleicht hatte der Wilhelmsturm Ähnlichkeit mit  diesem einfachen Holzturm.

Da von dem Wilhelmsturm leider kein Foto existiert, ist die genaue Beschreibung in dem Zeitungsbericht eine Möglichkeit, sich ein Bild von dem damals beliebten Aussichtsturm zu machen.Mit 18 Fuß Höhe war er umgerechnet 5,49 Meter hoch. Die genannte Plattform auf der ca. 20 Sitzplätze zur Verfügung standen betrug 150 Quadratfuß was 13,94 Quadratmetern entspricht. Anlass für die Namensgebung war das Attentat auf Kaiser Wilhelm I. am zweiten Februar 1878 in Berlin, dass er schwer verletzt überlebte.

Ein weiterer, ebenfalls interessanter Bericht, indem unter anderem die Beteiligten für den Turmbau erwähnt wurden, erschien am 10. Juli 1878 im Altenaer Kreisblatt:

Herscheid. Aus Anlaß des auf der Nordhelle errichteten Wilhelmsthurmes ist folgende Adresse an Se. Majestät den Kaiser abgegangen:

Allerdurchlauchstiger, großmächtigster Kaiser! Allergnädigster Kaiser, König und Herr! Siebenhundert Meter über dem Meeresspiegel, auf dem höchsten Punkte der Grafschaft Mark – der Nordhelle – dort wo Napoleon I. seiner Zeit einen optischen Telegraphen errichten ließ, durch denselben seine Befehle in die Welt schleudernd, ist jetzt, am Wilhelmstage, auf dessen Ruinen ein Aussichtsthurm errichtet worden. Auf der Spitze dieses Thurmes ist nunmehr eine Fahne des unter Ew. Majestät glorreich entstandenen deutschen Reiches aufgepflanzt und läßt dessen Farben kühn und stolz über drei Provinzen hinauswehen. Die Vertreter der bei der Errichtung beteiligten Corporationen – der Gemeinden Herscheid, Plettenberg, Meinerzhagen-Valbert und der Herscheider Clubgesellschaft sind heute zum ersten Male versammelt. Dieselben glauben im Namen mehrerer Tausende bei dieser Gelegenheit den Gefühlen steter und treuester Ergebenheit zu dem angestammten Herrscherhause, an dessen Spitze Ew. Majestät erhabenes Haupt steht, Ausdruck geben zu müssen, Gott den Allmächtigen bittend, daß er Ew. Majestät von den durch ruchlose Mörderhand zugefügten Verwundungen recht, bald genesen lassen möge. Gott segne, Gott schütze Ew.[=Euer] Majestät und unser deutsches Vaterland. Mit diesem Wunsche ersterben Ew. Kaiserlich Königliche Majestät treu gehorsamste Namens der Gemeinden: Herscheid: Neuhaus Amtmann. Plettenberg: Schirmer Amtmann. Meinerzhagen- Valbert: v. Orsbach Amtmann. Namens der Herscheider Clubgesellschaft: Der Vorstand: A. Schulte. Schäfer. Demeßieur.

Aus diesem zweiten Schreiben erfährt man unter anderem, dass an der Errichtung des Turms, neben den Gemeinden Herscheid, Plettenberg und Valbert auch die Gesellschaft „Der Club“ beteiligt war. Die Informationen über diese Clubgesellschaft sind nicht sehr umfangreich aber immerhin gibt es einige wenige. Im Prinzip waren solche Gesellschaften oder auch Clubs wie sich nannten nichts anderes als ein Verein. Die Bezeichnung Verein war damals noch nicht so stark verbreitet  Vom Herscheider  „Club“ ist bekannt, dass er am ersten Dezember 1877 gegründet wurde. Zu den Mitgliedern gehörten ausschließlich die vornehmen, gebildeten und begüterten Herren der Gemeinde. Laut den Statuten widmete sich der Club der geselligen Unterhaltung wozu auch verschiedene Veranstaltungen und Ausflüge gehörten. Da es von der Gründung der Clubgesellschaft im Dezember 1877 bis zu den Berichten über den Wilhelmsturm im Juni 1878 nur ein kurzer Zeitraum war, gehörte der Bau des Turmes  wohl zu einer der ersten Tätigkeiten der kaisertreuen Männer.
der club-Colorized

Dass der Wilhelmsturm  ein beliebtes Ausflugsziel war, belegen verschiedene Zeitungsanzeigen in denen Vereine ihre Mitglieder zu einem Ausflug auf die Nordhelle einluden. Schon im August des Jahres 1878 lädt der Lüdenscheider Turnverein seine Mitglieder, anlässlich des 100-jährigen Geburtstages des Turnvaters Jahn zu einer Turnfahrt nach dem bei Herscheid gelegenen Wilhelmsturm ein. Im Juni 1879 ist es der Herscheider Wehrverein der anlässlich der goldenen Hochzeit des Kaiserpaares einen Ausflug zum Wilhelmsturm auf der Nordhelle macht.

1879 Wilh.Turm1878 Wilh.Turm

Doch lange hat der Wilhelmsturm dem Wetter auf der Nordhelle nicht standgehalten denn im Jahr 1890 wurde der zweite hölzerne Turm errichtet der mit ca. 10 Metern Höhe ungefähr doppelt so hoch war wie sein Vorgänger. Darüber berichtet die Lüdenscheider Zeitung am 07. Juni 1890 mit einer Bekanntmachung der Herscheider Amtmanns Graf von Haslingen die lautete:

Es wird hierdurch gemäß § 23 der Ministerial-Anweisung vom 20. Juli 1878 zur allgemeinen Kenntnis gebracht, daß die Beschädigung, Verrückung und Entfernung der Seitens der trigonometrischen Abteilung für Standesaufnahme kürzlich auf der obersten Kuppe der Nordhelle wieder gesetzten Merksteine sowie das Besteigen des darüber neu errichteten Holzgerüst nach dem Gesetz unter Strafe gestellt ist.

Letzteres wurde dann aufgehoben und der neue Holzturm durfte von Besuchern der Nordhelle doch als Aussichtsturm genutzt werden. Die Bezeichnung Wilhelmsturm hatte sich anscheinend so sehr eingeprägt, dass selbst im Jahr 1892 der Werdohler Turnverein Jahn in einer Zeitungsanzeige seine Mitglieder zu einer Wanderung über Sirrin und Herscheid zum Wilhelmsturm auf die Nordhelle einlud.

Letztendlich geriet der kleine Turm mit dem großen Namen der einst auf der Nordhelle stand total in Vergessenheit und wurde auch in den zahlreichen Chroniken nicht erwähnt. Der Zufall brachte nun seine Geschichte zum Vorschein.

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